Philosophisches Vorwort von Dr. Joachim A. Groth
Vernissage KreishausGalerie 6.11.2016
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            Philosophische Vor-Wort-Rede aus Anlass

der Eröffnung der Ausstellung

 

                          „Unterwegs und doch daheim“

                           der Künstlerin Sabine di Martino

 

           Bergheim, d. 06.XI.2016

 

 

Sehr geehrte Frau di Martino,

            sehr geehrter Herr Ripp, sehr geehrte Frau Dr. Bettermann,

                              sehr geehrte Damen und Herren,

 

in vorweihnachtlicher Zeit möchte ich mit folgendem Gedicht von Joseph von Eichendorff beginnen:

 

„Markt und Straßen stehn verlassen

still erleuchtet jedes Haus,

                                    sinnend geh ich durch die Gassen,

                                    alles sieht so festlich aus.

 

                                    An den Fenstern haben Frauen

                                    buntes Spielzeug fromm geschmückt,

                                    tausend Kindlein stehn und schaun,

                                    sind so wundervoll beglückt.

 

                                    Und ich wandre aus den Mauern

                                    bis hinaus ins freie Feld,

                                    hehres Glänzen, heilges Schauern !

                                    Wie so weit und still die Welt !

 

                                    Sterne hoch die Kreise schlingen,

                                    aus des Schnees Einsamkeit

                                    steigts wie wunderbares Singen –

                                    O du gnadenreiche Zeit !“

 

 

Und um das Fass des humanistischen Bildungsideals gleich zu Anfang vorsätzlich überquellen zu lassen, darf noch ein zweites Gedicht nunmehr von Ferdinand Freiligrath hintangeschickt werden:

 

                                    „Wie wird das Bild der alten Tage

                                    Durch eure Träume glänzend wehn!

                                    Gleich einer stillen frommen Sage

                                    Wird es Euch vor der Seele stehn.“

 

 

Man mag den „röhrenden Hirschen“ über der Wohnzimmercouch der fünfziger Jahre belächeln, man mag auch das Pathos der deutschen Romantik für etwas übertrieben halten, nichtsdestotrotz schlummert auch in Ihnen Allen hier das nagende Moment der durch Melancholie unterlegten Erinnerung und das Bedürfnis nach Gründung des eigenen Selbst, nach Heimat, nach dem Daheim. Denn, geben Sie es ruhig zu, beim Vortrag der vorgenannten Gedichte glimmten auch in Ihnen assoziative Nadelstiche aus Kindheitstagen hoch, Erinnerungen an Vergangenes, das doch so unendlich flüchtig ist.

 

In Raum und Zeit von Alioscha von Taborski heisst es zum Eichendorffschen Weihnachtsgedicht: „Was er aber in besonderer Weise bewunderte, war die Fähigkeit seiner Mutter, das Gedicht bis in das hohe Alter... mit würdevoller Stimme…vorzutragen. Nichts, aber auch gar nichts  konnte jemals Lebenszeit, jemals Lebenserfahrung und jemals das Empfinden der Welt so auf den Punkt bringen wie ein Gedicht. Man mag noch so viele Worte sagen können….aber man holt die Wahrheit und das Empfinden der Zeit niemals ein, das Gedicht aber schon, es öffnet sich wie eine große Blüte, die immerfort sich entfaltet, erstrahlt, in Bescheidenheit, in Schönheit, in Einklang mit den heiligen Gesetzen der Natur.“

 

In dieses Wespennest des soziologisch und philosophisch durchtränkten Heimatbegriffs setzt nun die heute zu ehrende Künstlerin, Frau Sabine di Martino, ihre gleichnamige Bilderserie, ihre - wenn Sie so wollen Bildgedichte - die sog. Heimatbilder. Drei Kompositionselemente prägen dabei den Vordergrund: eine Subjekt/Objekt Darstellung, ein architektonisches- sowie ein Spielelement. Mal steht ein Tret-Roller im Vordergrund, mal zwei Mädchen, den Rücken zu uns gewandt, mal dominiert das Bild ein überlebensgroßer Wellensittich, mal ein grimmscher Wolf samt Rotkäppchen. Die Architektur wird durch Schulräume, herrschaftliche Wohnkultur, oder aber auch Schwimmbäder geprägt. Überdimensionierte Glasmurmeln, Eicheln, Monopoly-Häuschen oder aber auch ein Kaugummiautomat stehen für das spielerische Element. Und so entsteht nach und nach ein sehr persönliches Panoptikum aus Erinnerungen an Kindheitstage samt inräumlich anflutenden, sommerfrischlichen Meereswellen.          

 

Dieses Konzept ist gerade auch als Auftragskunst sympathisch, in einer Welt, die in einer Flut im wahrsten Sinne des Wortes un-erträglicher und eben nicht auskonzentrierter Selbstdarstellungen zu ertrinken droht. Von Max Frisch und Claude Lévi-Strauss wissen wir, dass es an sich keine Heimat mehr gibt, von Bloch, dass das Prinzip Hoffnung nicht wirklich wärmt und die Max Webersche „Entzauberung der Welt“ nimmt in Zeiten der allumfassenden Globalisierung erst richtig an Fahrt auf. Um mit Dahrendorf etwas hochkantig zu sprechen: neue Ligaturen, also Bindungen sind notwendig. Die Bilder di Martinos sind insoweit ein schlichter, aber fast romantisch, eben lyrisch veranlagter Versuch, an der Wiederverzauberung der Welt mitzuwirken, dem Selbst in Bildräumen geeignete Reflexionsmöglichkeiten zu geben und daran mitzuwirken, sich über die Erinnerung den heimatlichen Überbau in Dachformat zu sichern. So entsteht ein auf einer Gitterstruktur aufgebautes, z.T. surreal anmutendes Bildkonzentrat, welches analog dem celanschen Sprachgitter auf diverse Kommunikationssituationen angelegt ist.

 

Dabei spielt di Martino in mehrfacher Hinsicht mit unbewussten

Momenten, sei es durch die handwerkliche Technik der Schüttung, sei es durch das nicht konzeptionierte Einbeziehen von ungefassten Leinwandflächen, sei es durch die Aus-Spielung des Spiel-Elementes in philosophischer Hinsicht, was uns die Herren Freud, Huizinga oder Gadamer, jener in seiner Aktualität des Schönen, schon gelehrt haben. Und diese Mehrfachklänge des Unbewussten bilden nun den Überklang zur zweiten Bildserie, den sog. Teichbildern.    

 

 

„Seht Ihr den Mond dort stehen

Er ist nur halb zu sehen

Und dennoch rund und schön.

 

So sind wohl manche Sachen,

die wir getrost belachen,

weil unsere Augen sie nicht sehen.“

 

 

Diese wunderschöne dritte Strophe aus dem Mondgedicht von Matthias Claudius führt sanft in die doch ausgesprochen sumpfgrundige Problematik der Teichbilder ein. Wäre es nur blätterteichlich Blättriges, garniert mit etwas malerischer Spiegelei, bliebe ein mehr oder weniger wässriger Augenschmaus schriftlich auszufiltern. Stattdessen sitzt einem schon prinzipiell Herr Berkely im Nacken mit seinem schneidigen „esse est percipi“, das „Sein ist Bewusstsein“ oder „Die Dinge sind, wie wir sie verstehen“. Wir erfahren also niemals die Welt an sich, sondern lediglich ihr Spiegelbild im Bewusstsein, was wiederum prinzipiell die Beschreibung von Spiegelbildern in Teichbildern, die ja bereits schon durch das Medium der Abfotografie und innerhäuslich-nonpleinairer Aus-Malerei doppelt gespiegelt worden sind, nicht einfacher macht, erst recht nicht im Rahmen einer morgendlichen, nichtsahnenden Matineegesellschaft.

 

Es ist uns also zunächst einmal schlichtweg versagt, hinter den Spiegel zu blicken, mögen uns auch die Kant´schen Naturgesetze, Schopenhauers Welt-Wille und Hegel´s schöpferische Vernunft zumindest phänomenologische Begrifflichkeiten direkt oder indirekt von der uns nicht sich offenbarenden, erscheinenden Wirklichkeit zum Troste spenden.

 

Kurzum: Der Mond ist nur halb zu sehen, ob mit Teich oder ohne. Nichtsdestotrotz bleibt aber zu beschreiben, ob die Erscheinungswelt durch unsere ja willensbestimmte Intelligenz gezwungen werden kann, sich anders zu entwickeln, als sie es getan hätte, wenn sie sich selbst überlassen worden wäre.

 

Was also entwickeln die Teichbilder oder anders ausgedrückt, was bewirken sie? Die Komposition besteht wiederum aus drei Elementen: Dem „Verborgenen“ des opaken Teich-Untergrundes, dem auf die Wasseroberfläche gelegten Spiegelbild des Himmels (getupfte Wolken etc. ) und dem auf die Wasseroberfläche gelegten Blattwerk, das Ganze angereichert durch in Öl gesetzte aus der Tiefe schimmernde, den Blick in das Verborgene ziehende, farbige Lichtpunkte.

 

So vermischen sich auf der Basis von Fotografie angelegte impressionistische, mit hyperrealistischen Mal-Techniken, eine wenn man so will durch verschiedene Medien angelegte Schichtenkomposition, aufgelockert durch den Beat der pollockschen Drip-Kunst . Im Kern dieser Bilder glutet aber die impressionistische Melancholie. Warum?

 

Auf der Grundlage von Heideggers Welt- und Zeitenanalyse in Sein und Zeit und des Walter Benjaminschen Erfahrungsbegriffs wissen wir, dass die vertraute Welt uns keine Impression bietet. Sie ist nämlich das, was übrig bleibt, wenn die Szenerie sich schon wieder verändert hat. Impression ist das französische „faire sensation“, das Erlebnis, das erste Erlebnis schlechthin, welches in der Vertrautheit der Dinge wiederum verschwindet.

 

Es war das Besondere des Impressionismus, das Raum-/Zeit Kontinuum aufzulösen. In der klassischen Malerei konnte man sich in zeitlicher und räumlicher Hinsicht in einen Bildraum begeben, eine Kirche, oder ein corpus christi, oder eine Landschaft studieren. Die substanzlose Impression fordert jedoch den Bildbetrachter nicht länger auf, sich in einen mit Substanzen gefüllten Bildraum zu versetzen. Hier fordert das Bild dazu auf, das Substanzielle im eigenen Zeitraum der Erinnerung zu finden. Das Gemälde ist nicht mehr für sich allein tragfähig, es bedarf der Ergänzung durch die Erlebniswelt des Betrachters.

 

Der holländische Philosoph Gerard Visser schreibt hierzu:

 

„Unter dem Primat der Impression verbirgt sich der Untergang der dauerhaften Vertrautheit einer Welt. Wenn der moderne Mensch seine Welt noch als ein Zuhause erfahren will, wird er das so gut wie möglich mit Hilfe seiner Erinnerungen selbst zustande bringen müssen.“

 

Und nun kehren wir wieder zurück zu den Bildern di Martinos. Ein eigenartiges Pendel schwingt zwischen Heimat- und Teichbildern hin und her, Bilderwelten wie siamesische Zwillinge in einer Art Mythologie des Alpha und Omega eingebunden, ein Diptychon sui generis.

 

Die Heimatbilder versuchen im Wege eines surreal anmutenden Realismus aus den Tiefen des eigenen Ich´s konkrete Bilderwelten zusammenzusetzen. Hier steht der Versuch im Vordergrund, bewusst gewordene Erinnerung im Bilde festzuhalten.

 

Ganz anders die Teichbilder. Sie graben im Unbewussten. Gleichsam einem Zauberspiegel starrt man in Sie hinein und wartet auf die nach oben sprudelnden Assoziationen. Ob Wasser als Sinnbild des Lebens, ob das welke Blatt als Sinnbild des vorbeiziehenden Lebens, ob der sich schleierhaft auflegende Wolkenhimmel gleichsam dem platonschen Höhlenrand, all das ist „oberflächliche“ Gedanken-Flüchtigkeit, in Acrylfarbe gefasst. 

 

Der österreichische Literaturkritiker Karl Kraus hat einmal formuliert: „Je länger man ein Wort anschaut, desto komischer schaut es zurück.“ Je länger man in die untergründig-gespiegelte Mehrschichtigkeit der Teichbilder hinabsieht, um so Gedankenverlorener wird man, um so mehr erblüht jene weite Ebene der Erinnerung, die im Unbewussten verborgen liegt.

 

 

 

                                    „Schläft ein Lied in allen Dingen,

                                    die da träumen fort und fort

                                    und die Welt hebt an zu singen,

                                    triffst Du nur das Zauberwort“

 

 

Schließen wir also unsere Betrachtungen wiederum mit Eichendorff. Wie trifft man nun das Zauberwort im „Verborgenen“? An jedem Punkt öffnet das Verstehen eine Welt, so Wilhelm Dilthey, am tiefsten Punkt der Gedankenverlorenheit öffnet jedoch das Unbewusste die Erinnerung. Man darf nicht erwarten, man muss warten, dies ist ein Unterschied.

 

 

Die geschöpfte Erinnerung im Bilde festzuhalten und die Erinnerung aus dem Bilde zu schöpfen ist jener hintergründige Bogen, der zwischen Heimat- und Teichbildern existiert, ein durchaus in sich geschlossener Schaffenskosmos.

 

Dieser Kosmos gründet in der Romantik, in der Suche nach der verlorenen Zeit, oder der blauen Blume, jenes Blau, was als Farbe der Sehnsucht und der Suche nach der Wahrheit, nach dem Leben, den farblich dominanten Untergrund der Teichbilder darstellt.

 

 

Diese Suche ist aktueller denn je, Ausdruck eines tief verwurzelten Humanismus, der sich gegen seine Auflösung in die Banalität ökonomischer Verwertbarkeiten zur Wehr setzt.

 

 

Ich bedanke mich für Ihre Geduld und Aufmerksamkeit!

 

 

 

 

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